
Auf der Website des Swiss EdTech Colliders stellen sich aktuell 17 Bildungstools für Schule und Unterricht dem härtesten aller Tests: jenem der Praxis. Lehrpersonen können sich und ihre Klasse über ein simples Formular anmelden. Sophia Reyes Mury, Erziehungswissenschafterin und für das «Swiss National EdTech Testbed Program» mitverantwortlich, sagt es so: «Lehrpersonen sind keine reinen Anwenderinnen – sie bringen die Expertise ihres Alltags ins Testprogramm». Die Rückmeldungen aus dem Schulalltag fliessen direkt in die Weiterentwicklung der Tools ein und stärken so deren Praxisnähe.
Vermittlung zwischen zwei Welten
Der Swiss EdTech Collider versteht sich als Vermittler zwischen den beiden sehr unterschiedlichen Welten: hier die öffentlich-rechtlichen Schulen mit ihrem Wertegefüge und den pädagogischen Anforderungen, dort die privatrechtlichen Jungunternehmen mit ihrer technischen Expertise auf dem Weg zur ökonomischen Bewährung.
Die Perspektive der Schulen spielt dabei eine zentrale Rolle: Lehrpersonen bringen nicht nur ihre Erfahrungen aus dem Unterricht ein, sondern erhalten durch die Teilnahme am Programm auch die Möglichkeit, neue Technologien frühzeitig kennenzulernen und mitzugestalten. «Viele Lehrpersonen schätzen es, dass sie ihre Meinung einbringen können und sich ernst genommen fühlen», erklärt Sophia Reyes Mury. Die Schulen erhalten praxisorientierte Unterstützung bei der Integration digitaler Lösungen und profitieren von einem gut strukturierten Rahmen, der es ermöglicht, Innovationen mit dem Alltag der Schule in Einklang zu bringen.
« Lehrpersonen schätzen es, dass sie ihre Meinung einbringen können und sich ernst genommen fühlen. »
Sophia Reyes Mury, Swiss EdTech Collider
Innovation: die Wette um die beste Lösung
Dass Innovationen im Bildungsbereich nicht isoliert innerhalb des öffentlichen Systems entstehen, ist längst eine Binsenwahrheit. Die meisten digitalen Lösungen stammen von privatrechtlich organisierten Anbietern. Wenn diese Lösungen spezifisch für die Bildung konzipiert wurden, spricht man von «EdTech» (Education Technology). Die treibenden Köpfe hinter solchen Angeboten sind oft junge Unternehmerinnen und Unternehmer. Ob es sogenannte Spin-offs von Universitäten, Hochschulen oder andere Arten von Neugründungen sind, tut wenig zur Sache – sie alle gehen mit hohem Einsatz die Wette ein, für eine bestimmte Anwendung die beste oder optimalste Lösung zu finden. Das gehört zum Bildungsökosystem wie einst die Wandtafel ins Dorfschulzimmer.
Digitalisierung, gesellschaftlicher Wandel und neue Formen des Lernens fordern nicht nur Schülerinnen und Schüler, sondern auch Lehrpersonen und Bildungsinstitutionen. Ebenso gefordert sind Gründerinnen und Gründer, wenn sie sich mit ihrer Idee aus ihren eigenen vier Wänden hinaus in den Markt trauen. Dort müssen sie nachweisen, dass ihre Lösung wirksam, sinnvoll und evidenzbasiert ist. Ob etwas im Schulalltag wirklich funktioniert, zeigen erst die Erfahrungen derjenigen, die es täglich benutzen – also Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler.

Kinder erstellen aus eigenen Zeichnungen auf der Plattform «Candli» ein Videospiel und lernen so programmieren. Tabea Widmer vom Swiss EdTech Collider hat den Test in einer Berner Schulklasse begleitet.
Marktgestaltung im internationalen Vergleich
Die Rahmenbedingungen und Kooperationsformen dieser «neuen Praxis» zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Bildungsakteuren – oft im Sinne der «co-creation» (Mitgestaltung) angepriesen – haben wir im Rahmen eines Projekts in der Schweiz und im Ausland untersucht. Der Bericht zeigt: Während in vielen Ländern die Bildungsbehörden ihren Markt aktiv gestalten, sind die offiziellen Bildungsinstanzen der Schweiz noch sehr zurückhaltend. Zwei augenfällige Beispiele behördlicher Initiativen greifen wir hier heraus:
- Schweden: Das Swedish Edtest ermöglicht es Lehrpersonen, digitale Bildungstechnologien direkt im Unterricht zu erproben. Durch systematisches Feedback fliessen praktische Erfahrungen in die Weiterentwicklung der Tools ein, so dass sie besser an schulische Bedürfnisse angepasst werden. Edtest wurde ursprünglich durch die schwedische Innovationsbehörde «Vinnova» gegründet. Nach Abschluss der Anschubfinanzierung im Jahr 2022 übernahm das unabhängige Forschungsinstitut Ifous die Verantwortung und entwickelt es seither weiter.
- Belgien: Die EdTech Station ist eine Plattform, die die Entwicklung und den Einsatz innovativer Bildungstechnologien fördert, um Bildung und lebenslanges Lernen in Schulen, Unternehmen und anderen Kontexten zu verbessern. Belgien orientierte sich am schweizerischen sowie auch am schwedischen Modell.
Die internationale Vernetzung der EdTech-Gemeinschaft ist in Europa und darüber hinaus weit entwickelt. Der Swiss EdTech Collider ist in den beiden grössten Netzwerken engagiert:
- Das Global EdTech Testbed Network verbindet Initiativen aus verschiedenen Ländern, um Erfahrungen zu bündeln und die Skalierung erfolgreicher Modelle zu unterstützen.
- Die European Edtech Alliance ist der Verbund der führenden EdTech-Organisationen in knapp 30 Ländern Europas. Die Leiterin Beth Havinga wird an der Fachtagung Educa25 ein Gastreferat halten.
Stein um Stein zum Gesamtbild
Ein gemeinsamer Nenner zieht sich quer durch alle Testbeds und ähnlichen Ansätze, die wir im Rahmen unseres Projekts beobachtet haben: Sie bieten einen geregelten Rahmen für die Klärung pädagogischer, didaktischer, technischer, rechtliche, ethischer und organisatorischer Fragen zum Einsatz digitaler Lösungen.
All diese Perspektiven gilt es zusammen mit der User Experience, wie die persönliche Erfahrung mit Software im Jargon heisst, zu einem passenden Gesamtbild zu bringen. Wenn dies gelingt, stehen die Chancen günstig, dass aus der oben erwähnten Wette ein wertvolles Steinchen im heranreifenden Mosaik des digitalen Bildungsökosystems gedeiht.
Der Weg dorthin erfordert Geduld und Vorstellungskraft. Sophia Reyes Mury: «Die Lehrerinnen und Lehrer, die sich für die Tests anmelden, sind oftmals digitale Pioniere. Je mehr Tests wir durchführen, desto besser wird unsere Datenbank. Und desto genauer wird sie die tatsächlichen Bedürfnisse der Lern- und Lehrpraxis widerspiegeln. Das ist bereits ein sehr guter Anfang!»
- Swiss EdTech Collider: Zentrum für Startups, mit Sitz im EPFL Innovation Park und in unmittelbarer Nähe zu EPFL LEARN – dem Zentrum für Lernwissenschaften der EPFL in Lausanne.
- BeLEARN: Kompetenzzentrum für Digitalisierung in der Bildung in Bern. Besonderer Schwerpunkt auf die Verknüpfung von Forschung und Praxis (Translation).
- Lighthouse EdTech Evidence-Oriented Initiative: Struktur der EPFL mit dem Ziel der Zusammenführung von Schweizer EdTech-Startups, Schulen und akademischen Einrichtungen zur Erprobung, Validierung und Verbesserung von EdTech-Tools durch forschungsbasierte Pilotstudien.
- Innovation Sandbox für KI: Platform des Kanton Zürich als Testumgebung für KI in allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung. In dem Rahmen ist ein Leitfaden für KI in der Bildung entstanden.